Was Eltern tun können

Charles W. Socarides, M.D., New York

Das folgende Interview ist ein Auszug aus dem Buch von Charles W. Socarides „A Freedom Too Far“, Roberkai 1995

Was sagen Sie Eltern, die zu Ihnen kommen, weil sie befürchten, dass ihr Sohn homosexuell sein könnte?

(Dr. Socarides): Ich sage ihnen dasselbe, das ich auch Eltern sage, deren Kinder Drogen nehmen. Ich sage ihnen: Sie haben als Eltern nicht versagt, Sie sind jetzt nicht hilflos und Sie sind auch nicht allein.

Als Eltern nicht versagt?

Was auch immer sie mit ihren Kindern getan oder an ihnen versäumt haben mögen, solange diese klein waren, das ist noch lange kein Grund, heute ihre Aufgabe als Eltern fallen zu lassen. Frühes Versagen der Mütter geschieht oft aus den besten Absichten. Frühes Versagen der Väter kann Ursachen gehabt haben, die außerhalb ihrer Einflussmöglichkeiten lagen. Vielleicht war der Vater wegen seiner Arbeit wenig zuhause. Vielleicht kämpfte er in einem Krieg. Es ist möglich, dass der Anstieg der Homosexualität in den USA viel damit zu tun hat, dass die Väter weg waren, weil sie im 2. Weltkrieg kämpften oder in Korea oder Vietnam. Einem Vater, den der homosexuelle Lebensstil seines Sohnes schmerzt, kann ich sagen, wie aussichtslos es war, dem Sohn ein Rollenvorbild zu sein, wenn man die ganze Zeit nicht anwesend sein konnte. Ich sage ihm: „Was damals war, war damals, aber jetzt ist jetzt. Was damals geschah, haben Sie nicht verstehen können. Aber jetzt wissen Sie es und deshalb können Sie es heute besser machen.“

Wie?

Sie können der Schwierigkeit, dem Problem, ins Gesicht sehen. Glauben Sie nicht der gegenwärtig gängigen Ausrede, dass es kein Problem ist. Versuchen Sie, mit Ihrem Sohn, Ihrer Tochter zu reden. Hören Sie zu. Greifen Sie nicht an, reagieren Sie nicht hysterisch, drohen Sie nicht. Seien Sie auch nicht unbarmherzig mit sich selbst. Vielleicht hilft es, sich klarzumachen, dass es schreckliche Eltern gibt, die dieses Problem nicht haben und wunderbare Eltern, die es haben. Warten Sie auf einen ruhigen Augenblick und erklären Sie ihrem Sohn oder Ihrer Tochter, was Ihnen Sorgen macht, bei Ihrem Sohn z. B. in seinem Verhalten oder bei der Wahl seiner Freunde. Sprechen Sie mit ihm über Ihre Werte und warum Sie so entschieden gegen gleichgeschlechtlichen Sex sind. Er ist immer noch Ihr Kind, Ihr Sohn. Und er braucht immer noch Ihre Unterstützung. Hören Sie nicht auf, ihm Ihre Liebe zu zeigen. Lassen Sie ihn nicht ohne Beachtung. Werfen Sie ihn nicht zuhause raus. So erfährt er sehr viel über Sie und Ihre Liebe zu ihm. Alleine das – das Gefühl, geliebt zu werden, was auch immer passiert – wird einen großen Unterschied machen. Das gleiche gilt für Ihre Tochter. Ihre Kinder brauchen Hilfe.

Wie können Eltern helfen?

Das hängt sehr davon ab, in welchem Stadium sich Ihr Sohn oder Ihre Tochter gerade befinden. Wenn möglich, gehen Sie mit ihm zu einem Psychiater oder Psychologen oder Psychotherapeuten, der sich mit Homosexualität und ihren Ursachen auskennt. In unserer Zeit kann es gut sein, dass Ihr Hausarzt der Propaganda, der sexuelle Lebensstil sei eine Frage des Geschmacks oder sei angeboren oder biologisch festgelegt, erlegen ist. Vielleicht versucht Ihr Arzt auf diese Weise, Ihnen zu helfen, das Gesicht zu wahren. Er möchte Ihnen keine Schuld zuschieben, Sie nicht verachten, weil Ihr Sohn oder Ihre Tochter homosexuell empfindet. Wenn Ihr Arzt diese Haltung hat, suchen Sie sich einen anderen.

Würden Sie Müttern anraten, ihren kleinen Jungen Puppen zum Spielen zu geben?

Auf keinen Fall. Ich weiß nicht, woher der Gedanke stammt, aber diese modische Idee, kleine Jungen sollten mit Puppen spielen, ist dumm und gefährlich. Empfindsamkeit, Sensibilität lernen Jungen normalerweise von ihren Schwestern. Oder von ihren weiblichen Spielkameraden oder später von Klassenkameradinnen. Sie brauchen keine Puppen. Was sie am dringendsten in diesem Alter brauchen, ist ein Gefühl für ihre Identität als kleine Männer, die später Väter werden wollen.

Der Junge wird sich dann eher sehen als „ich bin wie mein Papa“ als „ich bin wie meine Mama“?

Genau. Aber wenn der Vater seine Verantwortung als Vater nicht wahrnimmt, oder er gesehen wird als jemand, der den Sohn irgendwie ablehnt, dann wird der Sohn eher annehmen, dass er wie seine Mutter sei als wie sein Vater.

Wenn also ein Kleinkind sich nicht als eindeutig männlich wahrnimmt, bedeutet das, dass es später eine andauernde Vorliebe für gleichgeschlechtlichen Sex bekommt?

Nicht unbedingt. Auch später noch kann der Junge zu seiner Identität als Mann gelangen – vor allem, wenn die Mutter die Entwicklungen, die ihm helfen, ein junger Mann zu werden, nicht stört.

Was heißt das, „stört“?

Z. B. wenn sie in ihm eine Konkurrenzsituation zum Vater fördert oder den Vater verachtet.

Wie geschieht das?

Indem sie ihm deutlich zu verstehen gibt, dass sie ihn seinem Vater vorzieht. Für einen kleinen Jungen ist das sehr reizvoll und verführerisch. Bevor er versteht, was vorgeht, hat er den Platz seines Vaters eingenommen und wird ohne eigene Schuld dem Vater möglicherweise entfremdet. Wenn der Vater sich dann zurückzieht, mit dem Sohn nicht angeln geht, nicht Fußball spielt – all diese männlichen Dinge, die Väter und Söhne normalerweise gemeinsam machen – kann es passieren, dass der Junge aufwächst und sich mehr zur Mutter zugehörig fühlt als zum Vater.

Auf welche andere Weise kann die Mutter die normalen Entwicklungsprozesse stören?

Wenn sie z. B. den Jungen und seine Entwicklung völlig kontrolliert bis zu dem Punkt, an dem er sich nicht mehr von ihr lösen kann und für sein Leben nicht mehr selbst Verantwortung übernehmen kann. Indem sie jeden Ansatz zur Unabhängigkeit bei ihm durchkreuzt oder deutlich ihre Ablehnung ausdrückt, wenn er es doch tut. Wenn sie ihm Angst einflößt, wenn er Trampolin springen oder Fußball spielen oder mit seiner Jugendgruppe draußen zelten will. Wenn sie ihn spüren lässt, dass er ihr gehört, auch körperlich und seelisch. Wenn sie es ihm nicht erlaubt, mit anderen Jungen zu spielen. Wenn sie ihm vermittelt, dass er etwas Falsches tut, wenn er eine kleine Freundin haben möchte.

Ich hatte einmal einen Patienten, nennen wir ihn Patrick. Seine Mutter war eine außerordentlich schöne Frau, sie behandelte ihren Sohn wie eine Erweiterung ihrer selbst. Er war ihr Phallus und als Kind traute er sich nicht, irgendetwas zu tun, ohne es mit ihr abgesprochen zu haben. Sie lebte durch ihn. Um sicherzustellen, dass er immer für sie da sein würde, setzte sie seinen Vater vor seinen Augen herab und schränkte die Beziehung zu ihm ein. Das machte es ihm unmöglich, seine eigene, naturgegebene Identität zu erlangen. Zuletzt wandelte er völlig in den Spuren seiner Mutter. Er übernahm ihre Haltung, ging wie sie, sprach wie sie. Er begann, ihre Kleider zu tragen. Sein Vater, dem er vorher recht gleichgültig war, lehnte ihn nun ab – ein Sohn, der zum Püppchen geworden war. Seine Schulkameraden begannen, ihn zu hänseln, nannten ihn Memme und Weichling. Schließlich wurde aus Patrick genau das, was sie gewollt hatte – eine Erweiterung ihrer selbst.

Gibt es noch etwas, das Sie Eltern raten würden?

Eltern müssen unbedingt wissen, dass fast alle pubertierenden Jugendlichen eine Phase der Unsicherheit bezüglich ihrer sexuellen Identität erleben. Jetzt gibt es aber zunehmend Psychotherapeuten und Ratgeber, die ihnen sagen, dass jedwede sexuelle Orientierung gleich gut und okay sei, sei sie „schwul, heterosexuell oder irgendetwas dazwischen“. Wenn Jugendliche das auch glauben, sind sie in einer Fantasie-Welt, durch die ihnen ihr eigenes Leben entgleitet. Wir können dann nur hoffen, dass sie aus dieser Fantasie-Welt herausfinden, bevor es zu spät ist.

Wir müssen unsere Kinder ermutigen, sich selbst als männlich oder weiblich anzunehmen und danach zu leben. Das Leben ist oft eine Folge schmerzhafter Ereignisse, schmerzhaft aber notwendig. Wenn wir sie durchleben, machen sie uns zu den Menschen, die wir heute sind, und helfen uns, unsere Stellung als verantwortliche Glieder unserer Gesellschaft einzunehmen.

Zuerst veröffentlicht in Brennpunkt Seelsorge 4/97, S.94