Anregungen für christliche Eltern

Interview mit Frau Dr. med. Christl Ruth Vonholdt

Frau Vonholdt, was ist eigentlich Homosexualität, woher kommt sie?

CRV: Es gibt bis heute keine einzige wissenschaftliche Untersuchung, die eine genetische oder sonstige biologische Ursache für Homosexualität nachweisen könnte. Der Sexualwissenschaftler Professor Martin Dannecker schreibt: „Alle in der Vergangenheit angestellten Versuche, die Homosexualität biologisch zu verankern, müssen als gescheitert bezeichnet werden.“ Die Forschung hat aber zahlreiche Hinweise darauf, dass Umwelt-Faktoren und psychologische Faktoren eine wichtige Rolle in der Entwicklung homosexueller Empfindungen spielen. Zu diesen Umwelt-Faktoren gehören (früh-)kindliche chronische Bindungsverletzungen in der Beziehung zu den Eltern, insbesondere zum gleichgeschlechtlichen Elternteil. Damit ist das anhaltende Gefühl des Kindes gemeint, von den Eltern und dem gleichgeschlechtlichen Elternteil nicht genügend individuelle Bestätigung und Wertschätzung erfahren zu haben. Gerade Jungen, die später homosexuell empfinden, sind in der Kindheit oft „pflegeleicht“, eher still und angepasst. Niemand ahnt etwas von ihrer inneren Einsamkeit, letzteres gilt auch für die Mädchen.

Hier kommen auch allgemeine biologische Faktoren ins Spiel. Bei bestimmten Umweltvoraussetzungen können sie die Wahrscheinlichkeit für eine homosexuelle Entwicklung erhöhen. Die Umwelt trifft ja nicht auf ein passives Objekt, vielmehr interagiert das Kind von Anfang an mit ihr. Solche Faktoren können bei Jungen eine hohe allgemeine Sensibilität, Introvertiertheit, größere Ängstlichkeit oder eine künstlerische Begabung sein. Bei Mädchen sind es möglicherweise auch angeborene Begabungen, die als traditionell „männlich“ gelten, etwa im technischen Bereich, und die es Mädchen aufgrund von Rollenerwartungen erschweren können, sich mit dem eigenen Geschlecht zu identifizieren. Andere psychologische Faktoren sind Gefühle der Minderwertigkeit oder des Nicht-Genügens gegenüber Gleichaltrigen. Sexueller Missbrauch in Kindheit oder Jugendzeit kann eine zusätzliche Rolle spielen. Nicht wenige homosexuell Empfindende sagen, dass sie sich erst nach dem (homo-)sexuellen Missbrauch als „homosexuell“ einstuften.

Sind die Eltern schuld?

CRV: Nicht mehr und nicht weniger als alle anderen Eltern. Schwierige Beziehungen sind Teil jedes menschlichen Lebens, es ist aber Aufgabe der Eltern, davor nicht die Augen zu verschließen. Vielleicht waren es besondere Umstände, die zu einer homosexuellen Entwicklung führten: Gerade als der Junge in seiner wichtigen frühen Entwicklungsphase den Vater gebraucht hätte, war dieser vielleicht besonderem beruflichem Stress ausgesetzt und konnte sich seinem kleinen Sohn nur wenig widmen. Die robusteren Brüder haben das verkraftet, aber dieser eine etwas ängstliche und zurückhaltende Sohn hat es als chronische Verletzung in seiner Seele abgespeichert: Mein Vater hat keine Zeit für mich, er schätzt mich wohl nicht.

Oder: Die Mutter musste vielleicht längere Zeit ins Krankenhaus, als ihr Mädchen noch klein war. Die Schwestern konnten das verarbeiten, aber dieses eine Mädchen erlebte es als eine chronische Verletzung ihrer notwendigen Bindung zur Mutter. Als die Mutter ihr später ihre Liebe zeigen wollte, hatte das Mädchen seine Seele schon so verschlossen, dass es die Wertschätzung nicht mehr aufnehmen konnte.

Vielleicht hat auch die Mutter diesen einen Sohn, der ihr mehr entsprach, emotional stärker an sich gebunden, sodass er sich vom Weiblichen nicht lösen und seine männliche Identität nicht genügend entwickeln konnte. – Es gibt zahlreiche Szenarien. Gemeinsam ist in der Regel, dass sich das Kind aus einem seelischen Schmerz heraus innerlich vom gleichgeschlechtlichen Elternteil abkoppelt. Wenn sich aber ein Junge innerlich vom Vater abkoppelt, koppelt er sich auch ab von dem, wofür der Vater steht: der Männlichkeit. Er kann dann auch seine eigene Männlichkeit nicht ausreichend entwickeln. In der Pubertät verbinden sich seine tiefsten emotionalen Nöte nach Zugehörigkeit und Wertschätzung durch die Männerwelt mit den sexuellen Gefühlen. Durch Sex versucht der Junge, sich die Männlichkeit buchstäblich „einzuverleiben“. Das Mädchen, das sein Zuhause nicht bei der Mutter finden konnte, sucht sein Zuhause jetzt – ebenso vergeblich – bei einer anderen Frau. In vielen Fällen kommt es in der weiblichen Homosexualität deshalb zu einer emotionalen Abhängigkeit: Die Frau sucht ihr eigenes Leben und eigenes Wohlsein in der Partnerin. Eine betroffene Frau äußerte: „Immer wenn ich neben meiner Freundin lag, suchte ich etwas in ihren Augen: Ich suchte dort mich selbst, wer ich bin – und ich suchte nach Sicherheit, einer Sicherheit, die ich bei meiner Mutter nicht erlebt hatte.“

Was können Eltern tun?

CRV: Sehen Sie Ihren Sohn, Ihre Tochter nicht als „Homosexuelle/n“. Das entspricht nicht der Wahrheit. Ihr Sohn, Ihre Tochter sind weit mehr als ihr homosexuelles Verhalten oder Lebensstil. Sehen Sie Ihre Kinder einfach als Ihre geliebten Kinder an, die einen Lebensstil leben, den Sie nicht gutheißen können.

Mütter homosexuell empfindender Söhne haben oft eine zu enge Beziehung zum Sohn. Wenn das so ist,  müssen sie jetzt bewusst loslassen und sich zurückziehen, auch aus der ständigen Sorge um den Sohn. Der Sohn muss den Freiraum bekommen, sich emotional von der Mutter lösen zu können. Dazu braucht er den Vater als echtes Gegenüber.

Wenn die Mutter den Sohn unbewusst an sich gezogen hatte, weil ihre eheliche Beziehung emotional nicht erfüllend war, müssen beide Eltern jetzt an ihrer Beziehung arbeiten und sich möglicherweise auch kompetente Hilfe holen.

Väter müssen sich ganz neu in der Beziehung zu ihren Söhnen engagieren: Zeigen Sie aktiv Interesse am Leben Ihres Sohnes; fragen Sie ihn, was ihn beschäftigt, was ihm Freude oder Sorgen macht, hören Sie aktiv zu, verurteilen Sie nicht und kommentieren Sie auch nicht gleich. Geben Sie keine Ratschläge, wenn er nicht ausdrücklich danach fragt; es ist viel wichtiger, ihn zu verstehen. Unternehmen Sie etwas mit ihm, was er möchte. Versuchen Sie, seine Gefühle kennenzulernen und stellen Sie Ihre eigenen zunächst zurück. Kurz gesagt: Tun Sie das, was in der Entwicklung des Jungen nicht gelungen ist: eine aktive Bindung zwischen Vater und Sohn herzustellen. Im Erwachsenenleben ist das viel schwieriger, denn Ihr Sohn trägt – berechtigt oder unberechtigt – eine Verletzung in sich, die dazu führt, dass er sich Ihnen nur schwer öffnen wird. Dennoch: Jeder junge Mann hat auch das Bedürfnis, von einem anderen Mann in seinem Inneren gesehen, erkannt und wertgeschätzt zu werden. Darauf können Sie aufbauen.

Eines der grundlegenden Gefühle von Männern und Frauen mit homosexuellen Empfindungen ist das Gefühl, nicht verstanden zu sein. Hier können Väter und Mütter gegenüber ihren erwachsenen Kindern viel nachholen. Aber es braucht Zeit.

Bei den Töchtern sind besonders die Mütter gefragt. Sie müssen dasselbe tun wie Väter gegenüber ihren Söhnen. Es geht darum, die verletzte Bindung zwischen Mutter und Tochter wiederherzustellen. Fragen Sie Ihre Tochter, was sie beschäftigt, freut, was ihr Sorge macht. Fragen Sie sie nach ihrer Freundin, was sie an der Freundin schätzt. Hören Sie einfach nur zu. Versuchen Sie, zu verstehen. Wenn Ihre Tochter sich zurückzieht, bleiben Sie ihr gegenüber offen und zugewandt. In der frühen Kindheit konnte Ihre Tochter das Folgende vermutlich nur wenig entwickeln: Vertrauen, tiefe Entspannung und Freude über das eigene Sein; das Gefühl, geliebt zu sein, ohne etwas leisten zu müssen. Als Mutter können Sie dazu beitragen, dass Ihre Tochter das auch als Erwachsene noch lernen kann, obwohl es jetzt schwerer ist. Gehen Sie feinfühlig auf ihre Tochter ein in dem Wissen, dass in ihr noch das kleine, verletzte Mädchen lebt, das aus welchem Grund auch immer nicht genügend Bestätigung empfangen konnte.

Wo es angemessen ist, umarmen Sie als Mutter Ihre Tochter, als Vater Ihren Sohn, denn die seelische Verletzung beim homosexuell Empfindenden betrifft vor allem die Beziehung und den Bindungsmangel zum gleichgeschlechtlichen Elternteil.

Auf der anderen Seite gilt – und das mag zum notwendigen Loslassen helfen: Ab einem bestimmten Alter sind ihre Kinder für ihren gewählten Lebensstil und ihre Entscheidungen selbst verantwortlich.

Nicht zuletzt: Beten Sie regelmäßig für Ihre Kinder. Vielleicht können Sie dabei folgende Übung machen: Setzen Sie Ihre Vorstellungskraft ein und stellen Sie sich Ihren Sohn/Ihre Tochter ganz bildlich von Gottes Liebe umgeben vor, eingehüllt in sein wärmendes Licht und seine Fürsorge wie in einen Mantel. Dann sprechen Sie: Amen, so sei es. Das hilft auch Ihnen: Wenn Sie sich etwa durch ein Verhalten Ihres Kindes verletzt fühlen, können Sie dann diese Verletzung leichter loslassen.

Gibt es Veränderungsmöglichkeiten?

Ja, die gibt es. Es gibt geeignete Therapien, seelsorgerliche Angebote und Selbsthilfegruppen, die Menschen mit homosexuellen Empfindungen helfen können, ihr heterosexuelles Potential, das ja in ihrer Leiblichkeit angelegt ist, zu entwickeln. Solche Therapien setzen nicht an der sexuellen Neigung an, es geht darin immer zentral um eine tief gehende Auseinandersetzung mit der eigenen Lebensgeschichte.

Allerdings gibt es, wie bei allen Therapien, keine Erfolgsgarantie. Es kann auch sein, dass sich keine Veränderung einstellt. Ihr Sohn/Ihre Tochter steht dann möglicherweise vor der Entscheidung, abstinent zu leben. Auf der anderen Seite: Es gibt Menschen, die viele Jahre homosexuell gelebt haben und sich dann doch noch verändern konnten.

 

Das Interview erschien zuerst in: „Begegnung“, Zeitschrift aus Schönstatt für Frauen, 1/2010.